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„Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft: Welche Rolle spielt die Finanzaufsicht?“

Rede von Mark Branson, Präsident der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), beim Bundesbank-Symposium am 5. Juli 2023 in Frankfurt

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrte Frau Professor Buch, sehr geehrter Herr Dr. Nagel,

hinter jeder Transformation der Gesellschaft stehen meist auch Innovationen. So konnten etwa Landwirte unter anderem durch Neuerungen wie Düngemittel und Fruchtwechselwirtschaft seit dem 18. und 19. Jahrhundert ihre Produktivität deutlich steigern und brauchten weniger Arbeitskräfte. Zahlreiche Menschen zogen vom Land in die Stadt und suchten Arbeit in den aufstrebenden Fabriken. Unsere agrarintensive Wirtschaft wandelte sich so zu einer industriell geprägten Wirtschaft.

Auch jetzt müssen wir einen Strukturwandel bewältigen. Einen Strukturwandel von einer CO2-intensiven Wirtschaft hin zu einer Wirtschaft, die deutlich weniger CO2 verbraucht, zu einer Wirtschaft, die deutlich nachhaltiger ist. Das hat Folgen für unsere Industrie – insbesondere für die Energiekonzerne, aber auch für alle anderen Unternehmen. Und natürlich auch für uns Menschen: Wie wir wohnen, wie wir uns fortbewegen und was wir konsumieren.

Wie bereits in früheren Transformationsphasen ist die Finanzindustrie ein entscheidender Treiber. Denken Sie an den Eisenbahnbau, der im 19. Jahrhundert vor allem mit Hilfe von Banken finanziert wurde. Auch heute gilt: Kapital sollte vor allem in aussichtsreiche Projekte fließen. Projekte, die sehr unsicher sind oder nur wenige Erträge versprechen, sollten dagegen nur gegen hohe Risikoaufschläge finanziert werden. Dieser Mechanismus funktioniert aber nur, wenn alle Beteiligten – Kreditinstitute, Investoren und private Anlegerinnen und Anleger – zutreffende Informationen über die Projekte erhalten. Transparenz ist also wichtiger denn je.

Für uns als Finanzaufsicht hat das Thema Nachhaltigkeit daher eine große Bedeutung. Mit Blick auf die von uns beaufsichtigten Unternehmen, aber auch auf Verbraucherinnen und Verbraucher, die ebenfalls einen Beitrag zur Transformation leisten wollen. Welche Herausforderungen wir bei der Transformation sehen und welche Rolle wir dabei einnehmen, haben wir in einer Sustainable-Finance-Strategie festgehalten. Wir werden diese Strategie heute veröffentlichen.

Für uns sind drei Punkte entscheidend:

Erstens: Wir brauchen robuste Institute, die langfristig ihre volkswirtschaftliche Rolle wahrnehmen können. Dafür müssen sie auch ihre umweltbezogenen Risiken im Griff haben. Das hat ja bereits Frau Professor Buch in ihrem Vortrag betont.

Hierfür brauchen wir zweitens mehr Klarheit. Nur wenn die von uns beaufsichtigten Unternehmen auf verlässliche Daten von Unternehmen aller Wirtschaftssektoren zurückgreifen können, können sie Transitions- und physische Risiken in der eigenen Bilanz oder bei von ihnen angebotenen Finanzinstrumenten und Dienstleistungen effektiv steuern.

Das wiederum bringt mich zum dritten Punkt: Es dürfen nur Produkte und Dienstleistungen als nachhaltig gelabelt und verkauft werden, die es auch wirklich sind. Greenwashing zerstört Vertrauen. Es ist eines der größten Risiken der Transformationsfinanzierung. Wir als BaFin gehen entschlossen dagegen vor.

Zunächst möchte ich auf die Rolle der Institute eingehen.

Wie gesagt: Nur in einem stabilen Finanzsystem mit widerstandsfähigen Instituten kann ausreichend Kapital in nachhaltige Investitionen fließen. Wir wissen, dass nicht alle Innovationen und Projekte für eine klimaneutrale Wirtschaft erfolgreich sein werden. Viele werden scheitern. Das liegt in der Natur der Sache. Wir brauchen Banken, die das aushalten und weiterhin in der Lage sind, erfolgsversprechende Projekte zu finanzieren. Und zwar auch, wenn der konjunkturelle Gegenwind mal stärker ist und vermehrt Kredite ausfallen. Gerade in der Krise sind starke Banken gefragt. Die Transformation darf nicht durch fehlendes Kapital gefährdet werden.

Wir, die BaFin, sorgen gemeinsam mit der Deutschen Bundesbank für ein stabiles, funktionsfähiges und integres Finanzsystem. Das bedeutet aber auch, dass wir dafür sorgen, dass die von uns beaufsichtigten Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsrisiken im Griff haben und entsprechend gegensteuern, wenn diese Risiken wachsen. Was meine ich damit?

Der Klimawandel erhöht die Risiken für die Wirtschaft. Dazu zählen physische Risiken wie Extremwetter, also Hochwasser und Dürren. Sie können zu Betriebsausfällen führen. Beispielsweise, wenn landwirtschaftliche Betriebe aufgrund von Hitze keine Ernte mehr einfahren können. Das hat weitreichende Folgen für die Nahrungsmittelindustrie, aber auch andere Branchen. Oder wenn aufgrund von zu niedrigen Wasserständen Tanker bestimmte Flüsse nicht mehr befahren können. Dann werden Lieferketten unterbrochen, und die Produktion wird gestört. Das alles hat Einfluss auf die Zahlungsfähigkeit von Unternehmen und auch auf die Kreditsicherheiten von Banken.

Hinzu kommen transitorische Risiken: Das sind Risiken, die durch den Übergang zu einer CO2-neutralen Wirtschaft entstehen. So drohen vielen Wirtschaftsunternehmen hohe Kosten: Sie müssen sich transformieren und ihren Energieverbrauch deutlich runterschrauben. Das gilt nicht nur für energieintensive Branchen wie etwa die Glasindustrie, sondern für alle Unternehmen. Hinzu kommen die steigenden Belastungen durch die CO2-Steuer. Private Haushalte werden durch das Heizungsgesetz betroffen, aber es werden weitere Auflagen hinzukommen. Unter den Immobilienbesitzerinnen und -besitzern wird es einige geben, die das nur mühsam oder möglicherweise gar nicht stemmen können. Das hat auch Auswirkungen auf Kreditsicherheiten.

Das bedeutet aber nicht, dass Nachhaltigkeitsrisiken eine neue Risikoart für uns sind. Im Gegenteil: Sie schlagen sich in den altbekannten Kategorien „Marktpreisrisiken“, „Kreditrisiken“, „versicherungstechnische Risiken“, „operationelle Risiken“ und „strategische Risiken“ nieder.

Allerdings sind Umweltrisiken Risikotreiber mit besonderen Eigenschaften. Für die Methoden und internen Modelle sind sie eine Herausforderung. Die Institute müssen daher daran arbeiten, Umweltrisiken besser zu erkennen, zu messen und zu managen. Dafür müssen sie herausfinden: Wo genau liegen spezifische Verwundbarkeiten? Wo sind Konzentrationsrisiken? Wo genau fehlen Daten?

In unserer Strategie haben wir noch einmal betont, wie wichtig ein angemessenes Management von umweltbezogenen finanziellen Risiken ist. Erst vergangene Woche haben wir unsere Mindestanforderungen an das Risikomanagement der Banken (MaRisk) aktualisiert und dabei auch das Thema Nachhaltigkeit adressiert.

Dabei gilt für uns stets: Wir setzen die Schwerpunkte unserer Aufsicht proportional und risikoorientiert und nutzen unserer bereits bestehenden Aufsichtsinstrumente. Wichtig ist für uns Praxistauglichkeit. Es muss immer klar sein: Wir als Aufsicht machen keine Umweltpolitik. Uns geht es nicht darum, welche Projekte eine Bank oder ein Versicherer finanziert oder versichert – oder eben nicht. Hierauf können und wollen wir keinen Einfluss nehmen. Das entscheiden die Unternehmen selbst. Aufsichtsrecht soll ausschließlich den Zielen der Solvenz-, Verhaltens- und Marktaufsicht dienen. Das haben wir in unserer Strategie noch einmal deutlich gemacht.

Die Politik kann ökonomische Anreize setzen, um die Finanzflüsse zu lenken. Sie sollte sich aber bewusst sein, dass Erleichterungen für Kredite und Anlagen das Finanzsystem schwächen können. Was die Transformation in Richtung einer nachhaltigen Gesellschaft langfristig sogar gefährden kann. Grüne Kredite und grüne Anlagen sind nicht per se risikoärmer. Entscheidend sollte immer das jeweilige Finanzrisiko sein. Wir lehnen daher bei den Eigenkapitalanforderungen Penalising- und Supporting-Faktoren ausdrücklich ab.

Ich komme nun zu Punkt zwei meiner Rede: zuverlässige Daten.

Gerade hier sehen wir die größten Schwierigkeiten. Noch fehlen viele Daten zu Nachhaltigkeitsrisiken. Und natürlich liegt es auch an den sehr langen Betrachtungszeiträumen. Zuverlässigere Daten zu finanziellen Klimarisiken sind ein Handlungsschwerpunkt unserer neuen Strategie.

Dabei sehen wir nicht nur die Institute in der Pflicht, sondern auch die Wirtschaftsunternehmen. Immerhin hat das International Sustainability Standards Board (ISSB) in der vergangenen Woche die ersten beiden Standards für die Berichterstattung über klima- und nachhaltigkeitsbezogene Risiken veröffentlicht. Ziel ist, dass die Unternehmen relevante und international vergleichbare Informationen über ihre Nachhaltigkeitsrisiken liefern. Auch die umfassenderen europäischen Offenlegungsanforderungen auf Unternehmensebene werden die Informationslage sukzessive verbessern. Ich denke da insbesondere an die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) und die konkretisierenden European Sustainability Reporting Standards (ESRS). Wir als BaFin werden überwachen, ob von uns beaufsichtigte Unternehmen diese Verpflichtungen auch einhalten.

Klarheit für Verbraucherinnen und Verbraucher und der Kampf gegen Greenwashing: das ist der dritte Punkt, den ich heute ansprechen möchte.

Anlegerinnen und Anleger sollen entscheiden können, welche Produkte ihren Präferenzen entsprechen – und welche nicht. Dafür braucht es Klarheit. Nicht jede Kundin oder jeder Kunde kann selbst Grundlagen-Recherche betreiben und sich eine eigene Anlagestrategie für Nachhaltigkeit designen.

Durch hohe Transparenz können Anlegerinnen und Anleger fundierte Entscheidungen treffen und ihre Nachhaltigkeits-Präferenzen artikulieren – und umsetzen.

Wir stellen sicher, dass Beaufsichtigte ihre Transparenzpflichten einhalten und die Nachhaltigkeits-Präferenzen ihrer Kundinnen und Kunden bei deren Anlage-Entscheidungen berücksichtigen. Und wir achten sehr genau darauf, dass kein deutsches Fondsprodukt als nachhaltig gelabelt wird, dass dieses Attribut nicht wirklich verdient.

In der Praxis sind wir hier noch nicht weit genug. Anlegerinnen und Anleger können immer noch nicht klar und schnell genug erkennen, wie nachhaltig ein Produkt wirklich ist. Sie bekommen zu viele und zu komplexe Informationen, die sie überfordern. Ich gebe Ihnen Beispiele: Sie können in der Offenlegung sehen, wie hoch der Anteil an nachhaltigen Investitionen in einem Produkt ist, welche Nachhaltigkeitsanlagestrategie ein Produkt verfolgt, und wie Unternehmen messen, wie sie ihre Nachhaltigkeitsziele erreichen. Und das ist lange noch nicht alles.

Anleger und Anlegerinnen brauchen aber weniger und dafür verständlichere Informationen: Zum Beispiel müssen Kundinnen und Kunden einfach erkennen können, ob in einem Produkt trotz Taxonomiekonformität Atom oder Gas enthalten ist oder nicht. Oder: ob ein Produkt in Unternehmen investiert, die bereits „grün“ sind oder in Unternehmen, die gerade dabei sind, grün zu werden. Es reicht nicht, wenn dies nur im Anhang versteckt ist.

Wir alle wissen: Grün ist nicht gleich grün, es ist viel komplexer. Das bedeutet aber auch: Diese Produkte müssen so gekennzeichnet sein, dass es dies auch widerspiegelt. Die Kategorien, die wir in der aktuellen Regulierung haben, geben das nicht her. Aus meiner Sicht erscheinen drei Kategorien sinnvoll:

Zuerst Anlagen, die Aktivitäten finanzieren, die eindeutig klimaschonend sind, aber teilweise noch im Pionierstadium stecken. Sie sind oft finanziell riskant und damit tendenziell etwas für erfahrene Investoren mit hoher Risikobereitschaft.
Diese Produkte haben vergleichsweise hohe Kosten. Der Markt für sie ist wahrscheinlich nicht groß. Dafür kann ihre Wirkung hoch sein, und das Greenwashing-Risiko ist meist gering.

Die zweite Kategorie wären „Ausschlussprodukte“: Diese unterscheiden sich von nicht-nachhaltigen Produkten durch den Ausschluss gewisser Aktivitäten oder Sektoren. Die meisten nachhaltigen Anlageprodukte, die wir heute haben, fallen in diese Kategorie. Sie haben in puncto Nachhaltigkeit eine eher geringe Wirkung, sind aber weniger riskant und können günstig produziert werden. Ihr Markt ist im Moment vergleichsweise groß.

Aber entsprechen sie wirklich den Präfenzen der Anleger, die nachhaltig investieren wollen? Oder sind sie reine Placebos? Relativ groß ist hier auch die Gefahr von Greenwashing in Marketing und Verkauf.

Die dritte Kategorie ist vielleicht die wirksamste: Diese Produkte finanzieren die Transformation und begleiten sozusagen die Entwicklung von „braun“ zu „grün“. Das Marktpotential für sie wäre groß, die Finanzrisiken wären überschaubar, ihre potenzielle Wirkung dagegen wäre hoch. Allerdings ist eine solche Anlagestrategie nicht trivial. Wir reden über wirklich aktives Management, das Transformationspläne von Unternehmen beurteilt und deren Umsetzung begleitet. Solche Anlageprodukte wären nicht günstig, und das Greenwashing-Risiko ist ebenfalls hoch. Es würde nicht genügen, in Unternehmen mit nebulösen Net-Zero-Plänen zu investieren.

Lassen Sie mich zusammenfassen:

Es gibt ausreichend Nachfrage nach nachhaltigen Anlageprodukten und es gibt ausreichend privates Kapital, das mobilisiert werden kann. Aber das Geld landet nicht immer dort, wo es eine effiziente Transformation ermöglicht.

Um das zu erreichen, brauchen wir starke Banken und maximale Klarheit. Hier sind wir schon sehr weit, aber noch nicht weit genug. Ein großes Hindernis ist aktuell die Definition und Vermarktung nachhaltiger Produkte. Das müssen wir angehen. Vor uns liegt noch eine kurvenreiche Strecke und wir müssen beschleunigen. Fast wie im Nürburgring. Obgleich der ja auch als grüne Hölle bekannt ist.

 

Quelle: BaFin vom 05.07.2023

 

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